China. Vor nicht allzu langer Zeit für mich nur dieses große große Land im – von Deutschland aus gesehen – Osten der Welt, mit einer Sprache, die aussieht wie kleine Strichmännchen. Wie ich damals auf die Idee gekommen bin nach China zu gehen, fragen mich Leute. Ich weiß es selber nicht ganz genau. Ich hatte nach dem Abitur wirklich gar keine Ahnung, was ich machen soll. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon meinen 1. Dan im Taekwondo gemacht und hatte zufällig in der Zeitung von einem Mädchen gelesen, das für einige Zeit in China auf einer Kungfuschule war. “Das will ich auch machen”, dachte ich. Also schaute ich nach Taekwondo-Schulen in Korea, fand aber keine. Als ich dann in China schaute und auf eine Vielzahl an Kungfuschulen stieß, die Ausländern anboten bei ihnen zu leben und täglich zu trainieren, habe ich nicht lange überlegt und mich dazu entschieden, in dieses große unbekannte Land zu gehen, um eine Kampfkunst zu lernen, von der ich eigentlich gar nichts wusste. Im Nachhinein, eine der besten Entscheidungen in meinem Leben. Ich lernte nicht nur unglaubliche Menschen kennen, änderte mein Weltbild sowie meine Lebensanschauungen um 180 Grad und erlernte eine wunderschöne Kampfkunst, sondern verliebte mich auch in die chinesische Sprache und Kultur.
Das war mein erster Kontakt zu China und zur chinesischen Kultur und Gesellschaft. Tolles Essen, herzliche, lustige, freundliche Menschen, eine reiche, alte Kultur und eine schwierige, aber super interessante Sprache. Erst nach meiner Erfahrung in China wurde ich auch immer mehr von negativen Meinungen und Nachrichten von und über das Land konfrontiert. Insbesondere nachdem ich mich dazu entschieden hatte, nach meinem sprachwissenschaftlichen Bachelor nochmals nach China zu gehen und dort als Englischlehrerin zu arbeiten. “Du unterstützt indirekt die Regierung und deren Machenschaften, wenn du dort lebst”, “China – niemals”, “O Gott, China. Warum?”. Weil ich hinter der Unterdrückung, Überwachung und dem autoritären, totalitären System viel mehr sehe, als das große, böse China.
Ich sehe herzliche, humorvolle, liebenswürdige Menschen, ich sehe eine Sprache, die eine Jahrhunderte alte Kultur widerspiegelt, ich sehe Fortschritt und Innovation, zugleich aber auch Erhaltung von Kultur, Tradition und Werten. Und vor allem sehe ich für mich die Chance und irgendwo auch die Aufgabe eine Brücke des Verständnisses zwischen “unserer Welt” und “unseren Vorstellungen” und den von Chinas zu schaffen. China ist eines der mächtigsten Länder der Welt. Und das wird es bleiben. Ich denke, dass es deswegen umso wichtiger ist, China nicht als Feind zu sehen, als etwas, das man fürchten oder kontrollieren muss – das wird einfach nicht gehen -, sondern versuchen sollte, die chinesische Kultur, die Lebensweise, die chinesischen Ideale und Werte, die aus einer langen komplizierten Geschichte heraus entstanden sind, zu verstehen, dieser Andersartigkeit tolerant gegenüber zu sein, gemeinsame Visionen und Ziele zu finden und zusammen für eine bessere Welt zu arbeiten. Und das geht nur über Offenheit, Austausch und Toleranz.
Nun geht es morgen nach 5 Jahren wieder zurück in dieses vielfältige, riesige, spannende Land. Aber an einen ganz anderen Ort. Manzhouli. Eine kreisfreie Stadt ganz im Norden Chinas, direkt an der Grenze zu Russland, mit ca. 300.000 Einwohnern. Bis zu +30 Grad im Sommer und bis zu -30 Grad im Winter. Ich bin so gespannt, ob und wie sich die Nähe zu Russland und zur Mongolei bemerkbar machen, wie sehr das Leben dort sich von meinem bisherigen Bild Chinas unterscheiden wird, wie dort über die verschiedene aktuellen Themen der Welt berichtet wird und natürlich auch wie zum Teufel ich die -30 Grad überstehen werde.
Ich liebe Veränderung, ich liebe Herausforderungen, ich liebe Neues, Anderes, Unbekanntes. Ich freue mich darauf, einen neuen Alltag aufzubauen, neue Menschen und deren Denkweise kennenzulernen und mich selbst neu zu entdecken.
Auf der anderen Seite tut es mir natürlich weh, meine Familie und Freunde zu verlassen und erstmal nicht zu wissen, wann ich sie wiedersehen werde. Es ist ein komisches Gefühl zwischen Vorfreude und Wehmut. Doch Veränderung ist immer gut. Nur durch Veränderung lernt man dazu und wächst über sich hinaus. Und das brauche ich.